Erfahrungsbericht Sommersemester 2019

Auslandssemester an der Keio University Tokyo

Durch eine Kooperation zwischen dem Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) und dem Kakinuma Laboratory (Department of System Design Engineering) der Keio University wurde mir die Chance gegeben, ein Semester an der Keio Universität in Tokyo zu studieren. Keio ist eine prestigeträchtige Privatuniversität, die im Jahr 1858 gegründet wurde und zu den besten Privatuniversitäten in Japan zählt. Der Zweck des Auslandssemesters war es, im Kakinuma Lab eine Studienarbeit anzufertigen, die dann in Deutschland zu Ende geschrieben wird und vom IFW betreut wird. Zusätzlich bestand die Möglichkeit, englischsprachige Vorlesungen zu belegen. Professor Kakinuma hatte mir im Vorfeld eine Liste mit fünf Forschungsprojekten geschickt, von denen ich mir eins aussuchen konnte. Ich entschied mich für ein Forschungsprojekt im Bereich Additive Fertigung. Ein weiterer Schwerpunkt des Labors sind Ultrapräzisionszerspanung und -schleifen. Generell wurde mir vom Betreuer des IFW und dem International Office in Tokyo viel Arbeit bei der Vorbereitung abgenommen. Neben einigen anderen Vorbereitungen muss man ein Visum beim japanischen Konsulat in Deutschland (z.B. in Hamburg) beantragen. Alle dafür erforderlichen Unterlagen wurden aber vorher aus Tokyo zum IFW geschickt. Das International Office in Tokyo kümmert sich auch um den Platz im Wohnheim.

Bereits vor meinem Abflug konnte ich zu einigen japanischen Studenten aus dem Lab Kontakt aufnehmen. Zwei davon haben mich in Yokohama am Bahnhof abgeholt und zu meinem Wohnheim gebracht, nachdem ich vom Narita Flughafen einen Bus nach Yokohama genommen hatte. Während meiner Zeit in Japan wohnte ich im „Hiyoshi International Dormitory“ (HID). Ich hatte mir das Wohnheim aus einer Liste von mehreren Wohnheimen ausgesucht, da es nah am Campus für Maschinenbau liegt und sehr modern ist. Es besteht aus Wohngemeinschaften mit vier Studenten, davon zwei Japaner, zwei Ausländer. Diese vier Studenten teilen sich ein Badezimmer und ein Wohnzimmer, eine Gemeinschaftsküche ist auf jedem Flur. Zusätzlich gibt es ein japanisches „Sento“ (öffentliches heißes Bad) im Wohnheim und einen Gemeinschaftsraum mit einer Tischtennisplatte. Die Regeln im Wohnheim erscheinen Deutschen im ersten Eindruck etwas streng: Man durfte keine Besucher auf sein Zimmer nehmen, Frauen und Männer waren nach Fluren getrennt, es durfte kein Alkohol im Wohnheim getrunken werden und auf dem Gelände herrschte Rauchverbot. Dafür war alles sehr neu, weil das Wohnheim erst 2017 gebaut worden war und es gab einige Veranstaltungen wie Barbecue und Pizza-Abende. 

In unmittelbarer Nähe zum Wohnheim gab es einen der typisch japanischen Convenience stores. Diese Geschäfte haben 24h geöffnet und verkaufen nahezu alles von Essen bis Kopierpapier, Magazinen, etc. In den meisten gibt es auch einen Drucker und einen Geldautomaten. Größere Supermärkte befanden sich auch in Laufnähe. Den Bahnhof Hiyoshi erreichte man in 15min zu Fuß. Genauso lange dauerte auch der Weg zum Yagami Campus, auf dem sich das Lab befand. Auch einige Restaurants waren direkt um die Ecke.

Die ersten Tage in Japan waren von Bürokratie geprägt. Man musste bei einem sogenannten „ward office“ seinen Wohnsitz registrieren, wo man auch eine japanische Krankenversichertenkarte erhielt. Damit erhält man bei Ärzten 70% Rabatt auf alle Dienstleistungen. Die japanische Krankenversicherung ist Pflicht für Austauschstudenten und kostet ca. 10€ pro Monat. Es ist ratsam, sich eine SIM Karte besorgen, um immer mobiles Internet zu haben sowie einen Stecker-Adapter, sofern man ihn nicht schon in Deutschland gekauft hat. In Japan hat der Strom nur 110 Volt, die Steckerform ist wie in den USA. Auch etwas Bargeld sollte man in Deutschland schon getauscht haben, da in Japan, anders als vielleicht erwartet, immer noch sehr viele Geschäfte mit Bargeld abgewickelt werden.

In der ersten Vorlesungswoche haben wir uns im Labor Professor Kakinuma und seinem Assistenzprofessor Professor Koike vorgestellt. Beide haben uns herzlich begrüßt und uns die Räumlichkeiten gezeigt. Unsere Versuche haben wir jeweils zusammen mit einem japanischen Studenten durchgeführt, da viele Anleitungen der Maschinen auf Japanisch waren und es auch organisatorisch einfacher war, wenn wir die Versuche nicht alleine durchführten. Die Kommunikation mit den japanischen Studenten im Labor war sehr repräsentativ für die Kommunikation mit Japanern allgemein: Einige wenige können sehr gutes Englisch, viele verstehen Englisch und können es schreiben, aber nur sehr wenig reden und es gibt auch welche, die nahezu kein Englisch verstehen. Mein Labor Kollege konnte zu Anfang nur sehr wenig Englisch, aber durch die fast tägliche Kommunikation mit mir wurde er deutlich sicherer im Umgang mit der englischen Sprache und nach einigen Wochen brauchten wir den Google Translator nur noch für Fachwörter.

Die japanischen Studenten hatten eine Willkommensfeier für uns deutsche Studenten im ersten Monat organisiert in einem Izakaya, einem Restaurant, in dem viele verschiedene Gerichte und häufig ein sogenanntes nomihoudai (japanisches all-you-can-drink) gibt. Alle haben uns sehr freundlich willkommen geheißen. Jeden zweiten Samstag gab es ein Meeting im Labor, in dem immer drei Studenten auf Englisch ihre aktuellen Forschungsergebnisse präsentierten. Generell ist das Verhältnis zwischen Professoren und Studenten in Japan sehr anders als in Deutschland. Die Studenten sind fester Bestandteil eines Labors und forschen dort während ihres gesamten Masterstudiums. Sie haben engen Kontakt zu ihrem Professor, da viele fast jeden Tag im Labor sind.

Neben meiner Forschungsarbeit im Labor habe ich mehrere fachliche Kurse und einen Japanisch-Sprachkurs belegt. Die Kurse an der Keio Universität sind deutlich verschulter als an der Leibniz Universität. In vielen Kursen herrscht Anwesenheitspflicht, es gibt kleinere Tests nach der Stunde und Hausaufgaben. Statt einer Klausur am Ende des Semesters muss man häufig eine Hausarbeit anfertigen. Die Zeiten werden durch einen Schulgong geregelt. Das Angebot an englischsprachigen Vorlesungen ist überschaubar, dafür aber vielfaltig. Für die Kurse musste man sich am Anfang des Semesters registrieren, danach konnte man Kurse noch abwählen, aber keine neuen Kurse mehr dazu wählen.

Im Sommersemester wird am Yagami Campus kein Japanisch Anfängerkurs, sondern nur ein Fortgeschrittenenkurs angeboten. Möchte man Japanisch erlernen, gibt es kleinere private Vereine, die Japanisch beibringen oder man lernt die Grundlagen selbst oder sucht sich einen Japaner im Wohnheim, der gutes Englisch spricht und bittet ihn um Hilfe. Generell ist es kein Muss, Japanisch zu lernen während des Aufenthaltes. Es ist eine Hilfe in manchen Situationen und man findet sich besser zurecht, wenn man die Speisekarten und Straßennamen lesen kann, da manchmal nicht alles übersetzt ist. Aber in Zeiten von Google Translator und Google Maps findet man sich in Tokyo auch zurecht, wenn man kein Wort Japanisch lesen oder sprechen kann. In Situationen, wo man Japanisch benötigt, sind japanische Freunde sehr hilfreich, da sie dann mitkommen und übersetzen können (z.B. beim Abschluss eines Handyvertrages, beim Arzt, etc). Tokyo ist eine moderne Stadt, in der alle wichtigen Schilder wie Haltestellennamen auch auf Englisch geschrieben sind. Wer allerdings die japanische Kultur noch näher kennenlernen möchte, dem empfehle ich, ein wenig Japanisch zu lernen, bevor man in das Land kommt, da man über die Sprache sehr viel über die Mentalität der Japaner lernt. Das meiste über Japan und Japaner lernt man aber im Gespräch mit echten Japanern, seien es Leute auf der Straße oder Studenten auf dem Campus oder im Wohnheim. Die Japaner sind stets höflich, ein wenig in sich gekehrt, aber immer hilfsbereit und mit Abstand die bescheidensten Leute, die ich je gesehen habe.

Tokyo ist eine Stadt, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Die größte Stadt der Welt hat unzählige Facetten, hochmoderne Wolkenkratzer stehen nur einige Straßenblöcke vom jahrhundertealten Kaiserpalast entfernt, im Anime und Comic Viertel Akihabara gibt es alte Tempel wenige Meter neben Erotikläden und Spielehallen. Die Innenstadt ist grüner als man es erwartet, größere Parks sind über die Stadt verteilt wie zum Beispiel der Hibiya, der Yoyogi oder der Ueno Park. In Shibuya, Roppongi und Shinjuku spielt sich das Nachtleben ab. Wenn man in Tokyo abends ausgehen möchte, muss man im Hinterkopf behalten, dass die Bahnen kurz nach Mitternacht den Betrieb einstellen und dann erst wieder um 5 Uhr morgens fahren.

Eine Woche nach unserer Ankunft begann die Kirschblüte. Überall in Tokyo begannen die Kirschbäume zu blühen und man traf sich zum „hanami“ (Blumen-Schauen) in Naka-Meguro, dem Ueno-Park oder anderen Ecken. Stände waren dort aufgebaut und man konnte japanische Spezialitäten in Streetfood Manier genießen, Sake oder Bier trinken oder sich nur die unzähligen Menschen anschauen, die Bilder von den Blüten machten.

Obwohl Tokyo sehr groß ist, kann man viele Tagestrips in die Natur unternehmen. Circa eine Stunde südlich von unserem Wohnheim liegt die Halbinsel Enoshima, die über eine Brücke erreicht werden kann. Dort kann man an den Strand gehen und hat bei gutem Wetter sogar Blick auf Mount Fuji, den höchsten Berg Japans. In der Nähe von Enoshima befindet sich der Ort Kamakura. Im Ort steht eine 13,35m hohe Buddha Statue, im grünen Umland gibt es viele Tempel zu erkunden. Ein weiteres Highlight südlich von Tokyo ist Yokohama. Die größte China-Town Japans ist in Yokohama, zudem ist das Hafenviertel sehr schön.

An einigen der Wochenenden und auch in der golden week unternahmen wir mehrere Reisen innerhalb Japans. Besonders die Fahrt mit dem Shinkansen kann ich nur empfehlen. An einem Wochenende haben wir uns Kyoto, Nara und Osaka angeschaut. Kyoto ist wahrscheinlich die touristischste Stadt Japans, aber sie hat auch einen besonderen Charme durch die vielen Tempel wie zum Beispiel den goldenen Tempel Kinkaku-ji und die alten Gebäude. In Nara gibt es einen großen Park mit freilaufenden Rehen, die man streicheln und füttern kann. Osaka ist eine lebendige Metropole, bekannt für Okonomiyaki und Takoyaki, aber auch für die Burg von Osaka und das geschäftige Treiben nachts am Flussufer in der Innenstadt.

Einen weiteren längeren Ausflug haben wir auf die Insel Hokkaido gemacht. Dieser Teil Japans ist nicht nur wegen seiner Kürbisse und seines ausgezeichneten Fisches berühmt, sondern auch wegen der eindrucksvollen Landschaft. Ich habe selten eine schönere und dennoch vielfältige Landschaft gesehen. Von Japan aus kann man aber auch viele andere Orte wie Hongkong, Südkorea, Guam, China, Thailand, etc. in wenigen Flugstunden besuchen.

Ich kann ein Auslandssemester in Japan jedem empfehlen, der sich ein wenig für japanische Kultur begeistern kann. Obwohl Japaner häufig als die europäischsten Asiaten gesehen werden, ist das Leben ganz anders als in Europa. Die Sprachbarriere erschwert manche Aufgaben, hindert aber nicht daran, den Aufenthalt in vollen Zügen zu genießen. Man sollte sich vorher ein bisschen über das Land und die Leute informieren, da es unzählige Fettnäpfchen gibt, auf die viele Japaner aus Höflichkeit niemals hinweisen würden, es sie aber sehr stört (Essen und Trinken in der Bahn, Telefonieren in der Bahn, Rauchen auf der Straße, etc.).

Außerdem sollte man sich Gedanken über die Finanzierung machen. Das Wohnheim ist in etwas doppelt so teuer wie in Deutschland, die Lebensmittel und vor allem der Alkohol sind teurer als in Deutschland und auch die Fahrtkosten summieren sich sehr schnell. Das Essen in Restaurants ist im Vergleich zu Deutschland etwas günstiger, dies kommt aber stark auf das Restaurant und das Essen an. Ich habe in den etwas über vier Monaten so viel erlebt, gesehen und nicht nur viel über die japanische Kultur, sondern auch über die Kultur anderer Länder durch die anderen Austauschstudenten gelernt, dass es sich nur schwer in Worte oder Bilder fassen lässt. Es war auf jeden Fall eine Zeit, die mir für immer in Erinnerung bleiben wird.

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