Teilautonome Fertigungszelle für orthopädische Implantate

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Technologien der teilautonomen Fertigungszelle

Nach über drei Jahren Forschungsarbeit wurde das Projekt TempoPlant: Teilautonome Fertigungszelle für orthopädische Implantate erfolgreich abgeschlossen. In enger Zusammenarbeit mit fünf Firmen aus der Industrie wurden verschiedene Technologien entlang der Prozesskette zur spanen-den Fertigung von Implantaten erforscht. Die für die Industrie besonders wichtigen regulatorischen Anforderungen, wie die neue europäische Medical Device Regulations (MDR) wurden über die gesamte Projektlaufzeit berücksichtigt. Der Weg für eine Übertragung der Projektergebnisse in die industrielle Praxis ist damit frei.

Schwer zerspanbare Werkstoffe, komplexe Geometrien und geringe Stückzahlen zeichnet die Fertigung von Implantaten aus und sind eine große Herausforderung für die produzierenden Unternehmen. Daneben ist ein enormer Aufwand zur medizintechnischen Qualifizierung der Fertigungsprozesse notwendig, bevor ein Produkt eine Marktzulassung erhält. Die Unternehmen der Medizintechnik bewerten die gestiegenen Anforderungen durch die Medical Device Regulations als größtes Hemmnis in der Unternehmensentwicklung und investieren inzwischen etwa 9 Prozent des Gesamtumsatzes in die Erfüllung der Regulatorik. Die gestiegenen Anforderungen und Kosten führen bereits jetzt dazu, dass Implantate mit geringen Stückzahlen aus Kostengründen vom Markt verdrängt werden. Das kann im schlimmsten Fall auch mit einer Gefährdung der Patienten verbunden sein, wenn notwendige Implantate nicht mehr verfügbar sind. Um weiterhin einen wirtschaftlichen Fertigungsprozess sicherzustellen, hat es sich das Team des Projekts TempoPlant zur Aufgabe gemacht eine teilautonome Fertigungszelle speziell für die Medizintechnik zu entwickeln.

Für die Herstellung der Implantate erforschten die Projektmitarbeitenden Methoden der Digitalisierung sowie innovative Fertigungstechnik und wendeten sie entlang der gesamten Prozesskette an. Die Digitalisierung beginnt beim Einsatz von Produkt- und Fertigungsinformationen (PMI), was technische Zeichnungen in der Arbeitsvorbereitung obsolet macht. Eine adaptive CAM-Planung kann zudem auf sich verändernde CAD-Modelle reagieren und stellt dem Maschinenbediener so automatisiert einen aktuellen NC-Code zur Verfügung.

Der Fertigungsprozess erfolgt ebenfalls automatisiert. Ein Automatisierungsroboter übernimmt das Bauteilhandling. Dabei wird das Bearbeitungszentrum DMG MORI Milltap 700 mit Rohteilen be- und den fertigen Bauteilen entladen. Parallel zum Fertigungsprozess läuft eine Prozessüberwachung, die Fehler in Echtzeit erkennt und darauf reagieren kann.

Die Basis dieser Prozessüberwachung bildet eine prozessparallele Simulation, woraus die aktuellen Eingriffsbedingungen und die Prozesskraft bestimmt werden. Diese so ermittelte Prozesskraft wird schließlich prozessparallel mit der gemessenen Prozesskraft, aus einem sensorischen Spannsystem, abgeglichen. Ein Fehler im Prozess äußert sich dabei durch eine große Differenz der theoretischen zur gemessenen Prozesskraft.

Unmittelbar nach dem Fertigungsprozess wird eine automatisierte Qualitätskontrolle mit einem taktilen Messtaster in der Werkzeugmaschine und einem optischen Messsystem der Firma ZEISS Optotechnik GmbH ausgeführt. Das Optische Messsystem wird dafür von einem Messroboter geführt. Die ausgewerteten Messdaten werden in einem Qualitätsregelkreis zur Optimierung des Fertigungsprozesses verwendet, indem der NC-Code so verändert wird, dass auftretende Fehler für den nächsten Fertigungsprozess durch eine Verschiebung der Werkzeugwege eliminiert werden.

Zum anderen werden die Messdaten zu jedem gefertigten Implantat sicher und nachverfolgbar dokumentiert. Das ermöglicht eine Architektur mittels Blockchain und digitalen Verträgen – sog. Smart Contracts. Mit dem Abschluss einzelner Prozessschritte und dem Vorliegen der dafür notwendigen Daten tritt ein Smart Contract in Kraft und die bis zu diesem Zeitpunkt dokumentierten Daten werden mit Hilfe einer Blockchain überwacht. Änderungen der Daten werden somit transparent, ohne dass der Klartext der Daten preisgegeben werden muss. Das eröffnet völlig neue Potenziale für eine gemeinsame Dokumentation über Firmengrenzen hinaus.

Neben der Dokumentation spielt die Validierung der Fertigungszelle eine wichtige Rolle. Für die Unternehmen der Medizintechnik stellt sich dabei immer wieder die Frage, wie ein Prozess validiert werden kann, der mit Hilfe der Fehlerkompensation selbständig Veränderungen an den Werkzeugwegen vornimmt. In diesem Fall liegt der Schlüssel in dem Einsatz der genannten Messsysteme. Durch die lückenlose Qualitätskontrolle kann eine Verifizierung der kompensierten Flächen durchgeführt werden. Das erleichtert die Validierung der Fertigungszelle enorm, da durch die Verifizierung ständig ein Nachweis über die korrekte Funktionsfähigkeit der Fertigungszelle erbracht wird.

Insgesamt wurden somit verschiedene Technologien in eine gemeinsame Fertigungszelle integriert und erfolgreich erprobt. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Projekts arbeitet das Projektteam im nächsten Schritt an einer Industrialisierung der Technologien.

Das vorgestellte Forschungsprojekt wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Forschung für Produktion“ gefördert und in Zusammenarbeit mit den Projektpartnern DECKEL MAHO Seebach, DMG MORI Digital, Carl Zeiss Optotechnik GmbH, endocon GmbH und der MACK Dentaltechnik GmbH bearbeitet.

Kontakt:

Für weitere Informationen steht Ihnen Sebastian Kaiser, Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen der Leibniz Universität Hannover, unter Telefon +49 (0) 511 – 762 19421 oder per E-Mail kaiser@ifw.uni-hannover.de gern zur Verfügung.