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IFW entwickelt neues System zur autonomen Prozessüberwachung von Bohrprozessen

IFW entwickelt neues System zur autonomen Prozessüberwachung von Bohrprozessen

Versuchsaufbau an einer DMG Mori Milltap 700: Prozessdaten werden mit einem sensorischen Werkzeughalter, Beschleunigungssensoren und Maschinensteuerung akquiriert.

Im Oktober 2023 ist am IFW das ZIM-Projekt Autobohr „System zur autonomen Prozessüberwachung von Bohrprozessen“ gestartet. In Kooperation mit der Firma IBA AG entwickelt das IFW dabei ein innovatives Überwachungssystem für Bohrprozesse mit variierenden Prozessparametern. „Die Überwachung von Bohrprozessen ist herausfordernd, da die Prozessdaten aufgrund von Reibung und Spanklammern in der Regel viele Ausreißer aufweisen. Daher verwenden wir im Projekt Methoden des Maschinellen Lernens, um Merkmale aus den Daten zu extrahieren. Diese Merkmale tolerieren zwar Ausreißer, sind aber trotzdem sensitiv für Anomalien wie übermäßigen Verschleiß“, erläutert IFW-Mitarbeiter Jonas Malte Becker.

Störungen in Bohrprozessen, wie kritischer Verschleiß, können zum Bruch des Bohrers führen. Dies stellt für produzierende Unternehmen aus mehreren Gründen ein Problem dar: Zum einen bindet ein ungeplanter Neustart des Prozesses knappe, personelle Kapazitäten. Zum anderen führt ein Bruch des Bohrers häufig zu einer Beschädigung des Werkstücks, was hohe Kosten verursacht, da Bohrungen meist am Ende der Bearbeitungskette liegen. Daher ist eine frühzeitige Detektion kritischer Prozesszustände beim Bohren für eine hohe Wirtschaftlichkeit von entscheidender Bedeutung.

Zur Überwachung von Zerspanprozessen werden Prozessdaten genutzt, die beispielsweise von Beschleunigungssensoren, der Maschinensteuerung oder aus einem sensorischen Werkzeughalter stammen. Die Auswertung dieser Daten erfolgt üblicherweise mit sogenannten „Hüllkurven“, die statistische Modelle nutzen. Die Modelle definieren eine Hülle basierend auf 10-40 vorangegangenen Prozessen. Treten neue Prozessdaten aus dieser Hülle aus, wird ein Alarm ausgegeben. Der Ansatz ist robust und Entscheidungen des Systems sind für das Fachpersonal nachvollziehbar. Für Bohrprozesse sind Hüllkurven jedoch aufgrund der folgenden Punkte nur begrenzt geeignet:

  • Geringe Sensitivität für Fehler: Beim Bohren kann es aufgrund von Reibung und Spanklemmern zu Signal-Ausreißern kommen. Diese Ausreißer führen zu einer so breiten Hüllkurve, dass Fehler häufig nicht mehr detektiert werden können. Anomalien, wie z. B. eine hohe Anzahl an Ausreißern oder ein zu hohes Grundniveau können somit nicht detektiert werden.
  • Keine Eignung für Einzelteile: Statistische Hüllkurven eignen sich nur, wenn alle Randbedingungen des Prozesses wie beispielsweise die Bohrtiefe und das Material des Werkstücks konstant bleiben. Insbesondere bei kleinen- und mittleren Unternehmen, die häufig Kleinserien und Einzelteile fertigen, lassen sich Hüllkurven daher selten anwenden.

Um die genannten Defizite zu beheben wird im ZIM-Projekt „Autobohr“ ein Merkmalsextraktor entwickelt, der Verschleißmerkmale aus Prozessdaten von Bohrprozessen extrahiert. Die Idee ist, den Merkmalsextraktor mittels Maschinellen Lernens zu trainieren, sodass dieser auch bei variierenden Prozessparametern und Signalausreißern zuverlässig funktioniert.

Für das Training des Merkmalsextraktors ist ein umfangreicher Datensatz erforderlich, der ein breites Spektrum an Anwendungsfällen abdeckt. Zu diesem Zweck wurde in das Fräszentrum DMG Mori Milltap 700 ein Datenakquise-System (DAQ) des Projektpartners IBA mit zwei Beschleunigungssensoren integriert. In umfangreichen Bohrversuchen werden unterschiedliche Werkzeuge, Werkstücke, Bohrtiefen und Prozessparameter variiert.

Das Training des Merkmalsextraktors mit dem akquirierten Datensatz ist im weiteren Verlauf des Projekts geplant. Darüber hinaus soll der Merkmalsextraktor in das IBA DAQ-System integriert werden. Anwender von Werkzeugmaschinen soll somit zukünftig ein System zur Verfügung stehen, welches es erlaubt, Störungen in Bohrprozessen frühzeitig zu detektieren und somit Bohrerbrüche auch ohne die permanente Überwachung einer Fachkraft komplett zu eliminieren.

Kontakt:

Für weitere Informationen steht Ihnen Jonas Malte Becker, Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen der Leibniz Universität Hannover, unter Telefon +49 511 762 18289 oder per E-Mail (becker@ifw.uni-hannover.de) gern zur Verfügung.