Medizintechnik geht nicht ohne Maschinenbau!

© IFW
Möglicher Prozess für TempoPlant Fertigungszelle - Patientenspezifische Abutments, gefräst aus einer Titan-Ronde

Das Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) entwickelt und erforscht im Rahmen eines vom BMBF geförderten Forschungsprojekts eine Fertigungszelle zur teilautonomen Fertigung orthopädischer Implantate. Zur ausschussfreien Fertigung patientenspezifischer Implantate wird dafür eine moderne Werkzeugmaschine von Mitarbeitenden des IFW mit modernster Prozessregelung und -überwachung ausgestattet. Ein digitaler Maschinenzwilling, eine in die Maschine integrierte Prozesskraftmessung sowie ein roboterunterstütztes optisches Messsystem werden miteinander verknüpft und machen damit eine noch nie da gewesene Kombination aus Fertigungsüberwachung, Qualitätskontrolle und medizintechnischer Dokumentation möglich.

Die Weltbevölkerung wächst immer weiter und das Durchschnittsalter aller Menschen steigt kontinuierlich an. Laut statistischem Bundesamt werden 2050 ca. ein Drittel aller in Deutschland lebender Menschen über 65 Jahre alt sein, wovon wiederum über 40 Prozent das 80. Lebensjahr überschreiten werden. Aufgrund dieser Entwicklung wird auch der Bedarf an medizinischer Versorgung steigen. Die Herstellung orthopädischer Implantate wird daher in Zukunft eine immer größere Rolle einnehmen.

Während sich die marktseitigen Aussichten positiv darstellen, sehen sich die Hersteller orthopädischer Implantate einem zunehmenden Kostendruck ausgesetzt. Laut einer Umfrage des Bundesverbands Medizintechnologie im Herbst 2019 ist die Entwicklung der Gewinnsituation der Unternehmen in Deutschland aufgrund sinkender Preise und höherer Kosten am Standort Deutschland besonders besorgniserregend. Als Hauptursache für diese Entwicklung sehen die befragten Unternehmen die Einführung der neuen EU-Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation - MDR).   Dabei geht es vor allem um die Pflicht zu umfassenden klinischen Daten und um die zahlreichen Pläne und Berichte gemäß der MDR. Eine hohe Maßhaltigkeit der Implantate, die zunehmende Nachfrage an individuellen patientenspezifischen Implantaten und die Anforderung an eine möglichst schnelle Lieferung stellen Hersteller medizintechnischer Komponenten zusätzlich vor herausfordernde Fertigungsprozesse.

Als Hauptziel des aktuellen Forschungsvorhabens entwickelt das IFW gemeinsam mit Anwendern aus der Medizintechnikbranche, einem Werkzeugmaschinenhersteller sowie einem Hersteller optischer Mess- und Sensortechnik eine Fertigungszelle zur teilautonomen Fertigung orthopädischer Implantate. Die Fertigungszelle des Projekts besteht aus mehreren Teilsystemen. Das Bearbeitungszentrum Milltap 700 von DMG MORI wird vom IFW mit Sensorik ausgestattet, die es ermöglicht, Kräfte, die während des Prozesses auftreten, zu messen.

Neben dem Bearbeitungszentrum befindet sich ein mobiler Arbeitsplatz. Dort wird ein Industrieroboter montiert, der das Bearbeitungszentrum mit Werkstücken be- und entlädt und somit für eine hohe Automatisierung sorgt. Manuelle Arbeiten, wie beispielsweise Prüf- und Montagearbeiten, können ebenfalls direkt an der Maschine durchgeführt werden.

Direkt angrenzend zum Arbeitsplatz befindet sich eine mobile Messstation mit einem robotergestützten optischen Messsystem der Carl Zeiss Optotechnik GmbH. Dort werden bei Bedarf Mess- und Prüfaufgaben automatisiert ausgeführt. Die automatisiert gewonnenen Messdaten können zum einen zur Qualitätskontrolle und zum anderen für eine Regelung des Fertigungsprozesses verwendet werden. So erkennt das System Abweichungen der gefertigten zur gewünschten Bauteilgeometrie und kann entsprechend der Abweichungen in den Fertigungsprozess eingreifen und z.B. eine Nacharbeit auslösen.

Zusätzlich zur Prozessregelung wird die Fertigungszelle mit einer modernen Prozessüberwachung ausgestattet, die mit Hilfe eines digitalen Abbilds des Bearbeitungszentrums, eines sog. „digitalen Zwillings“, Prozessfehler erkennt und somit nachfolgende Prozessschritte anpassen kann.

Maschinendaten aus dem Fertigungsprozess und optische Messdaten werden automatisiert zur Bewertung des Fertigungsergebnisses und zur Dokumentation herangezogen. Um die Vorgaben der MDR hinsichtlich der Dokumentation aller medizintechnisch relevanten Fertigungsdaten zu erfüllen, wird eine Datenbankstruktur entwickelt, die Qualitätsdaten parallel während des Fertigungsprozesses des Implantats enthält.

Neben DMG MORI und der Carl Zeiss Optotechnik GmbH werden die Mitarbeitenden des IFW bei der Planung, dem Aufbau und der Validierung der Fertigungszelle durch zwei Firmen der Medizintechnikbranche, der endocon GmbH und der MACK-Dentaltechnik GmbH, unterstützt.

Kontakt:
Für weitere Informationen steht Ihnen Martin Winkler, Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen der Leibniz Universität Hannover, unter Telefon +49 511 762 4991 oder per E-Mail unter winkler@ifw.uni-hannover.de gern zur Verfügung.